Der vollständige Tatortbefundbericht von
Kommissar Reingruber aus dem Jahr 1922
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.........................................................................München, den 6.4.22
Betreff: Raubmord in Hinterkaifeck, Gem. Wangen
Am 4.4.22 abends 6 1/4 Uhr traf von der Gend. Station Schro-
benhausen die Fernmeldung ein, dass in einer Einöde der Gem. Wangen
Bez. Amt Schrobenhausen 6 Personen ermordet aufgefunden wurden.
Es wird um Abstellung von Kriminalbeamten und eines Polizeihundes
ersucht.
Im Auftrage des Leiters der Krim. Abtlg. - Polizeidirektor
Ramer - begab ich mich in Begleitung des Krim. Kom. N e u s s,
Oberwachtmeister Michael O h l e i n der 24. Abtlg N.I und des
Wachtmeisters S c h e r i n g e r der N.II, mit ihren Polizeihunden,
sowie des Krim. Sekr. B i e g e l e d e r des Erkennungsdienstes
mit einem Auto der Leitung der Landespolizei noch am gleichen
Abend 9 1/2 Uhr nach Wangen. Dort trafen wir nachts 1 1/2 Uhr ein.
Nachdem uns von der Gend. Hohenwart und später von dem Bür-
germeister in Wangen bestimmt versichert wurde, dass an der Mord-
stelle infolge Mangels jeder Beleuchtungsgegenstände ein Arbeiten
unsererseits nicht möglich sei, warteten wir bis 5 1/2 Uhr morgens
in der Wohnung des Bürgermeisters G r e g e r in Wangen und gin-
gen früh 5 1/2 Uhr zur Mordstelle. Dort trafen wir um 6 Uhr mit
dem Bürgermeister Greger und dem Ortsvorsteher Lorenz S c h l i t t e n-
b a u e r von Gröbern ein. Da uns inzwischen bekannt geworden ist,
dass am Vorabend bereits eine Gerichtskommission und
die Gend. in Schrobenhausen und Hohenwart am Tatort anwesend wa-
ren, nahmen wir vorerst eine Besichtigung des Tatortes vor.
In einer Tenne fanden wir 4 Leichen. Wie uns der Orts-
führer Lorenz Schlittenbauer angab, lagen die Leichen nicht mehr
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in der ursprünglichen Lage Die Leichen sind vom Schlittenbauer
wie folgt bezeichnet worden:
1.) Andreas Gruber, Austragsbauer, 70 Jahr (sic!) alt
2.) Zäzilie Gruber, dessen Ehefrau, etwa 70 Jahre alt,
3.) Viktoria Gabriel, Bauerswitwe, 35 Jahre alt (*), Tochter der Vorge-
nanten (sic!), geb. 6.8.87 in Kaifeck,
4.) Zäzilie Gabriel, etwa 9 (**) Jahre alt, Tochter der
Viktoria Gabriel
Sämtliche 4 Leichen hatten schwere Schädelverletzungen
und lagen in Blutlachen. Der Andreas Gruer war nur mit Hose und
Hemd bekleidet, das Mädchen Zäzilie hatte nur ein Hemdchen an.
Die beiden Frauen trugen noch ihre Werktagskleider. Von der Tenne
aus führte uns eine unverschlossene Tür in den Stallgang. An dieser
Türe fanden sich viele Blutspritzer vor.
Dem Stallgang entlang kommt man in einen Vorplatz und von
da in die Küche. Im Stallgang selbst lag viel Heu und sonstiges
Futter. Hier konnten wir kein Blut finden. Im Futtertroge
an der Ecke lehnte ein sogenannter Kreuzpickel - auch Kreuzhacke genannt -
Schlittenbauer gab an, dass dieser Pickel am 4.4. nachm. im Fut-
terbarren lag und von den Rindern abgeleckt wurde. Er habe den
Pickel im Barren an die Wand gelehnt. Die Besichtigung des Pickels
ergab, dass am Stiel, dem sog. Haus, braunrote Flecken vorhanden
sind, die m.E. nach Blutflecken sein dürften. Der Pickel soll
Eigentum der Hausbesitzer sein. Wo dieser eigentlich ständig
aufbewahrt wurde, konnte nicht bestimmt festgestellt werden.
Von dem zuletzt erwähnten Vorplatz aus gelangten wir
in die Küche. Dort waren auf dem Steinpflaster einzelne Blutflecken
sichtbar, jedoch keinerlei Abdrücke - Fusspuren (sic!)-. Von der Küche
aus in der gleichen Richtung fort, kamen wir in eine Kammer. Dort
lag eine Frauensperson mit einer schweren Schädelverletzung in
einer grossen geronnenen Blutlache. Rechts von der Leiche steht
ein Bett. Wie die Feststellungen ergaben, ist die Tote mit der
led. Dienstmagd Marai (sic!) B a u m g a r t n e r , geb. 1877 in Küh-
bach, personengleich. Die Tote war noch vollständig bekleidet,
sie hatte ihre Lederschuhe noch an den Füssen.
Anmerkungen:
(*) "35 J. alt" ist nachträglich handschriftlich darübergesetzt.
(**) Diese "9" könnte auch eine verschmierte "8" sein.
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Von der Küche aus führte in östlicher Richtung eine Türe
in den Hausgang. Auch dort fand sich am Boden ein Blutfleck vor.
Links vom Hausgang aus führte eine Tür in das Schlafzimmer. Dort
standen 3 Kästen, 2 Betten (beisammenstehend), eine Kinder-
bettstatt und ein Kinderwägelchen. In dem Wägelchen lag der 2 1/2 Jahre
alte Sohn Josef der Witwe Viktoria G a b r i e l mit zerschmet-
tertem Schädel. Die Betten, sowie das Bett im Kinderbettstadel
waren nicht frisch gemacht. Auf dem einen Bette, neben dem Schrank
lagen verschiedene Schriftstücke und auch eine leere Geldbrief-
tasche. Die Kästen waren nicht verschlossen. Spuren von Gewalt-
anwendung - Erbrechen - an denselben waren nicht ersichtlich.
Wie sich nachträglich herausstellte, sind die Schränke bereits
am 4.4. von der anwesenden Gend. durchsucht worden.
Am Fussboden fanden sich wieder Blutflecke vor, jedoch
keine Fusspuren (sic!). Rechts vom Hausgange führte eine Türe in das Wohn-
zimmer, dort war anscheinend nichts durchwühlt.
Bei dem Morde war es anscheinend nur auf Bargeld abgesehen
und ist auch bei der von uns in sämtlichen Räumen, einschliesslich
Keller vorgenommenen Untersuchung nach Papiergeld nur ein
Fünfmarkschein in einem Gebetbuch vorgefunden worden. In den Schrän-
ken wurde eine Herrenuhr und 2 Damenuhren, ein Ring, Kett-
chen, Rosenkränze und dergl. Bauernschmucksachen vorgefunden.
Ferner wurden im Schlafzimmer in dem neben dem Bette stehenden
Schrank in einer Kasette (sic!) folgendes Hartgeld gefunden:
1780 Mark in Gold, (Zwanzigmarkstücke)
10 einzelne Zehnmarkstücke,.............___________1.880 GM (*)
159 einzelne Markstücke,
3 Zweimarkstücke,
14 Dreimarkstücke,
24 Fünfmarkstücke und .....................___________2.207 GM (*]
1 Zwanzigpfennigstück in Silber
Ferner eine Geldbörse, enthaltend:
5,50 M in Aluminium,
1,50 M in Nickelzehnerl,
60 Pfennig in Nickelfünferl,
Anmerkung: Diese Summen seitlich handschriftlich dazugesetzt.
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90 Pfennige in Kriegsgeld,
5 einzelne Pfennige
und 8 einzelne Pfennige in Aluminium.
Ferner 6,58 M in einer Blechsparbüchse, ausserdem waren im
Gesamtbetrage von 15 100 M verschiedene Pfandbriefe (Mäntel)
nicht auch die Zinsbögen vorhanden. Ein Teil der dazugehörigen
Zinsbögen ist nach vorhandenen Depositenscheinen bei einer
Bank in Schrobenhausen deponiert. Aus den vorhandenen Schluss-
scheinen dürfte festzustellen sein, wie viele Pfandbriefe ange-
kauft und verkauft wurden, bezw. ob Pfandbriefe überhaupt ab-
gängig sind.
Papiergeld dürfte dem Täter (*) in ansehnlichem Be-
trage in die Hände gefallen sein. Es wurde u.a. die Vermutung
laut, dass die Ermordeten möglicherweise 100 000 M Bar (sic!) besessen
haben. Sie hatten vor, einen Stall zu bauen.
Dabei ist nicht unerwähnt zu lassen, dass Frau Gabriel im
Oktober 1921 5000 M zum Ankauf eines Motors und im Februar 1922
3000 M zur Bezahlung eines Dreschwagens von ihrer Stiefschwester
Frau Zäzilie S t a r r i n g e r in Gerentshausen (sic!) entlehnt hat.
Auch vom Bürgermeister Josef F r e i in Waidhofen sollte Andreas
G r u b e r in letzter Zeit 10 000 M aufzunehmen versucht haben.
Dass die Ermordeten in letzter Zeit grössere Verkäufe
abgeschlossen oder Geldbeträge vereinnamt hätten, ist nicht be-
kannt. Das Getreide vom verg. Jahr ist noch vorhanden.
Die Tat selbst ist zweifellos am Freitag abends, vielleicht
von 8 - 11 Uhr, verübt worden.
Dies dürfte daraus zu schliessen sein, dass Andreas Gruber
nur mit Unterhose und Hemd und die Zäzilie Gabriel nur mit
Hemdchen bekleidet war. Beide dürften vorher schon im Bette
gelegen (sein) oder doch Anstalten zum Schlafengehen getroffen haben.
Wie die vernommenen Zeugen Schlittenbauer, Pöll und Sie-
gel angeben, war bei ihrer Ankunft im Stalle ein Rind losge-
kettet gewesen. Vielleicht ist durch diese im Stalle entstandene
Unruhe eines von den Ermordeten und vielleicht die Viktoria
Gabriel in den Stall gegangen, dort niedergeschlagen und in die
(Seite 5: Tenne geworfen worden)
Anmerkung: Tatsächlich steht hier "dem Täter" und nicht etwa "den Tätern"!
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Tenne geworfen worden. Die weiteren Personen dürften infolge
längeren Ausbleibens der Ersteren nach und nach zur Nachschau
in den Stall nachgefolgt sein. G r u b e r oder die kleine
G a b r i e l dürften die letzten gewesen sein, da die kleine G a b -
r i e l in der Tenne am nächsten zu der Stalltüre lag. Die
Dienstmagd Maria B a u m g a r t n e r dürfte in ihrer Kammer
überrascht worden sein. Warum der oder die Mörder auch noch
den 2 jährigen Knaben töteten, lässt sich nicht recht erklären.
Bei diesem Knaben dürfte keine Gefahr zu befürchten gewesen sein.
Es müsste denn sein, dass der Mörder ein dem Kinde mit Namen
bekannte Person war oder aber das Kind hat Lärm gemacht. Mög-
licherweise ist das Kind aus verwandtschaftlichem Interesse,
(Erbschaft) weggeräumt worden.
Der Hühnerstall war noch geschlossen. Der Hund, welcher
nachts regelmäßig im Stalle untergebracht wurde, war auch am
4.4. nachm. noch im Stalle. Dieser soll an einem Auge verletzt
sein, er wird als sehr wachsamer Hund bezeichnet. Als wei-
terer Beweis dafür, dass die Tat am Freitag, den 31.3.1922 abends
oder nachts verübt worden ist, ist anzusehen, dass die Zazilie
G a b r i e l am Samstag den 1.4.1922 die Schule in Waidhofen
nicht mehr besucht hat. Der Lehrer Georg S c hö l l w a n g er
in Waidhofen hat bestimmt erklärt, dass die Genannte am 1.4.
die Schule nicht mehr besucht hat. Endlich ist auch bestimmend
die Aussage der beiden Cafereisenden Hans und Eduard Schierovs-
ky. Diese waren am Samstag den 1.4. bei dem Anwesen, haben
wiederholt an den Fenstern geklopft , schauten durch die Fen-
ster in die Wohnung, konnten aber keine Person wahrnehmen.
Über die Person der oder die Täter bestehen bisher keine greifbaren Anhaltspunkte.
Nicht unerwähnt zu lassen ist, dass der Ortsvorsteher
Lorenz S c h i t t e n b a u e r, als er mit uns an die
Mordstätte kam, ein etwas aufgeregtes Benehmen zeigte. Er re-
dete sehr viel und machte sich auch sonst wichtig, nahm sich
um alles an und war auch mit den häuslichen Verhältnissen der
Ermordeten gut vertraut. Er wusste am besten Bescheid. Er
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hat sich auch erboten 2 junge kranke Schweine, die anscheinend
durch Hunger und Durst stark gelitten hatten, in Verwahr zu neh-
men. Im Einverständnis des Bürgermeisters G r e g e r hat er
diese Schweine in seiner Behausung untergebracht. Die Erregtheit
des Schlittenbauer kann man vielleicht erklären dadurch,
dass unter den Ermordeten sein eigenes Kind, der 2 ½ Jahre alte
Josef Gabriel (durchgestr., darüber handschriftl. "Gruber") war. Schlittenbauer hatte, als er noch im
Witwenstande war, mit der Viktoria Gabriel , deren Ehemann
im Jahre 1915 oder 1916 im Felde gefallen ist, ein Verhältnis
unterhalten, das nicht ohne Folgen geblieben ist. Schlittenbauer hätte
die Viktoria Gabriel auch geheiratet, allein der Vater Andreas
Gruber war mit dieser Heirat nicht einverstanden. Er hat die Ali-
mente für den Knaben in Gesamtheit im Voraus beglichen und sich
dann mit einer anderen Frauensperson verheiratet. Er gilt als
gut situiert. Später habe er noch bei den Familien Gruber und Gab-
riel verkehrt, ist sohin mit ihnen nicht verfeindet gewesen.
Das Motiv zu einer solch entsetzlichen Tat fehlt bei Schlittenbauer.
Weiter ist zu erwähnen, dass in der Nacht zu Donnerstag
den 30.3.1922 im Anwesen der verlebten von 2 Männern ein Einbruch
verübt worden ist. Es ist nach Angaben des Andreas Gruber das Mo-
torenhaus erbrochen, jedoch nichts entwendet worden. Im Neu-
schnee waren Fusspuren von 2 Männern ersichtlich, die zum Anwe-
sen führten, es war aber angeblich keine Spur vorhanden, welche
vom Anwesen weggeführt hätte. (Angaben des Schlittenbauer).
Am Mittwoch, den 29.3. nachm. sollen neben dem Walde des
Anwesens der Ermordeten 2 Burschen im Alter von 18 und 22 Jahren
bemerkt worden sein. Sie sollen ein luckiartiges Aussehen haben.
Eine genaue Beschreibung konnte ich nicht beibringen. Die Gend.
Hohenwart hat davon Kenntnis und wird weitere Feststellungen
hierüber einleiten. Wie mir heute – 6.4.22 das Gend. Kom. in
Hohenwart gelegentlich eines Fernspruchs mitteilte, seien
auch am 29.3. und 30.3. in der Umgebung der Mordstätte und
zuletzt in Waidhofen, 2 Männer, etwa 40 Jahre alt, sprachen fremden Dia-
lekt, gewöhnlich gekleidet, ohne Überzieher, angeblich verspreng-
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te Oberschlesier, aufgetaucht. Weitere Erhebungen und Bericht
folgen von der Gend. Hohenwart.
Die Ehegatten G r u b e r und Frau G a b r i e l galten
als vermögende Leute. Sie lebten sparsam, zurückgezogen und
pflegten wenig Umgang. Über ihre Verhältnisse haben sie sich
auch Verwandten gegenüber nicht ausgesprochen. Es war in der Um-
gebung bekannt, dass die Familien Bargeld, auch Hartgeld und
Pfandbriefe besitzen. Es ist anzunehmen, dass der oder die
Täter von diesen Umständen Kenntnis hatten.
Über die Auffindung der Leichen durch die Zivilpersonen
gestatte ich mir auf die bereits an die Staatsanwaltschaft Neu-
burg a.D. abgegebenen Vernehmungen hinweisen zu dürfen.
Bemerkt wird noch, dass, angenommen, es könnte auch ein
erst kürzlich entlassener Strafgefangener in Frage kommen bei
sämtlichen hier wohnhaften und in letzter Zeit entlassenen
Anstaltsgefangenen Erhebungen über ihren Aufenthalt am 31.3.
und 1.4. eingeleitet wurden.
Ferner sind die Strafanstalten Landsberg, Straubing, Kais-
heim um namentliche Verzeichnisse über die in letzter Zeit ent-
lassenen Gefangenen ersucht worden. An der Hand dieser Verzeich-
nisse werden dann die entsprechenden Aufenthaltserhebungen der
einzelnen Entlassenen über ihren Aufenthalt zur kritischen
Zeit eingeleitet.
Die Polizeihunde konnten eine Witterung von den Tätern nicht
aufnehmen. Es ist zu berücksichtigen, dass in der Zwischenzeit
Schneefall und Regenwetter eingetreten ist. Der Bericht des
polizeilichen Erkennungsdienstes folgt.
Gez. Reingruber
Kriminal-Oberinspektor
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