Konrad Müller


- Konrad Müller -



Kommissar Konrad Müller in der Dokumentation von Kurt Hieber 1991




 

Die legendären Morde auf dem Einödhof Hinterkaifeck vor achtzig Jahren: War Blutschande das Motiv für das Blutbad?

 

Es geschah in einer stürmischen Nacht

 

Wie ein pensionierter Kommissar nicht ruht, das Geheimnis zu lüften

 

 

Von Uwe Ritzer (SZ)

 

 

Hinterkaifeck, Ende Dezember – Die Spuren lassen ihn nicht los, nicht die Widersprüche und vor allem nicht das Schicksal der beiden Kinder. Cäzilia muss einen besonders qualvollen Tod gestorben sein. Ihrem kleinen Bruder, den Großeltern, der Mutter und der Magd hat der Mörder die Schädel so blitzschnell eingeschlagen, dass sie sofort zusammensackten. Cäzilia aber, die wand sich zwei, vielleicht sogar drei Stunden lang unter grausamsten Schmerzen. Als der Gerichtsmediziner ihren Leichnam obduzierte, musste er kräftig zupacken, um die Haare aus der verkrampften rechten Hand zu nehmen, die sich das Mädchen büschelweise ausgerissen hat, im verzweifelten Kampf um sein Leben.

 

 

„Ich wäre so gern als Sachbearbeiter am Tatort gewesen“, sagt Konrad Müller. Die Leichen hätte er aus ihrem Heuversteck ziehen und aus der Nähe begutachten können. Akribisch hätte er nach Spuren gesucht. Führen wirklich Fußabdrücke im Schnee vom Waldrand zum Bauernhof hin, aber nicht mehr weg? Spricht tatsächlich etwas dafür, dass der oder die Mörder schon vor ihrem Verbrechen tagelang unbemerkt auf dem Heuboden gegessen, geschlafen und sogar ihre Notdurft verrichtet haben? Waren die Dachziegel des Stadels so verrutscht, dass man durch die Luke bequem das Haus und seine Bewohner auskundschaften konnte? Ist es wahr, dass der oder die Killer nach dem Gemetzel noch ein paar Tage lang die Kühe gefüttert, gemolken und Vorräte der Opfer verzehrt haben?

 

 

Fragen über Fragen – und wer könnte sie besser aufklären als ein Kriminaler? Einer, der keine Ruhe gibt, bis er alle Geheimnisse gelüftet hat. Einer, der weiß, wie man Spuren an einem Tatort sammelt, Eindrücke registriert und so lange geduldig und beharrlich nach kombinierbaren Fakten sucht, bis man Motiv, Täter und Beweise gefunden hat. Da braucht es jemanden mit Know-How, Leidenschaft, aber vor allem mit Zeit. Von all dem hat der Kriminalhauptkommissar a.D. Konrad Müller reichlich. Doch er ist zu spät geboren. 67 Jahre ist er alt, und so tut er sich schwer damit, einen der mysteriösesten Fälle deutscher Kriminalgeschichte zu lösen, der 13 Jahre vor seiner Geburt geschah.

 

 

Es stürmte, regnete und schneite zugleich in den Stunden vom 31. März auf den 1. April 1922. Vermutlich hat jemand in dieser Nacht eine Kuh losgebunden, und deren Brüllen und Rumpeln könnte es gewesen sein, was sie nacheinander in den stockdunklen Stall gelockt hat. Zuerst schaut die Mutter der kleinen Cäzilia nach, die 35 Jahre alte verwitwete Viktoria Gabriel. Als sie nach einer Viertelstunde nicht zurück in der Stube ist, schlurft ihre 72- jährige Mutter hinterher. Der Alten folgt nach einiger Zeit ihr Mann Andreas (63). Und als auch er wegbleibt, läuft die kleine Cäzilia in ihrem Nachthemdchen in den Stall. Sie wird als letzte niedergeschlagen, ehe der oder die Mörder ins Haus hinübergehen. Dort treffen die wuchtigen Hiebe die gehbehinderte Magd Maria Baumgartner (45) in ihrer Kammer vor dem Bett; erst ein paar Stunden vorher hat sie ihren Dienst auf dem Hinterkaifeck-Hof angetreten. Als letzter stirbt der zweijährige Josef in seinem Kinderbettchen – als einziger im Schlaf.

 

 

Zwar wundert sich in den Tagen darauf der Dorfschullehrer, warum Cäzilia unentschuldigt im Unterricht fehlt, und auch dem Postboten, der dem alten Gruber immer das Schrobenhausener Wochenblatt vorbeibringt, kommt der verrammelte Hof seltsam vor. Aber erst nachdem der Hofner Albert, ein kräftiger Kerl von 20 Jahren, in dem benachbarten Dorf Gröbern erzählt, wie unheimlich es gewesen sei, stundenlang den Motor der Hinterkaifecker Futterschneidmaschine zu reparieren, ohne dass auch nur ein einziger Hofbewohner auftaucht, schauen die Gröbener nach. Ortsführer Lorenz Schlittenbauer und zwei Nachbarn finden die sechs Leichen. Vier Tage nach dem Blutbad.

 

„Der Hofner hat erzählt, dass der Hund an seiner Kette gezogen und wie verrückt gebellt hat und dass die Scheunentore weit offen waren. Als aber zweieinhalb Stunden später der Schlittenbauer und die zwei anderen kamen, lag der Hund schwer verletzt in der verriegelten Scheune.“ Warum? Solche Widersprüche treiben Konrad Müller um. Warum ist das niemandem aufgefallen?

 

 

Detaillierte Protokolle

 

 

Der hagere Mann mit der grauen Kurzhaarfrisur sitzt am Esstisch seines Einfamilienhauses in einem Vorort von Ingolstadt und blättert unablässig in prall gefüllten Aktenordnern. Acht Stück hat er davon. Darin heftet er seit Jahrzehnten penibel alles ab, was nützlich sein könnte, um im Fall Hinterkaifeck ein Urbedürfnis des Menschen zu stillen: das nach Sühne. Alte Ermittlungsakten hat er kopiert, Zeitungsausschnitte gesammelt und selbst dutzende Menschen vernommen. Ein paar Zeitzeugen hat er noch persönlich gesprochen; heute lebt von denen keiner mehr. Aber ihre Kinder, Kindeskinder und andere, die etwas wissen könnten, leben noch. Über all seine Gespräche hat Konrad Müller detaillierte Protokolle verfasst. Er hat die Aussagen verglichen und Sachstandsberichte zu einzelnen Tatkomplexen geschrieben und sogar die Mordwaffe exakt nachgebaut: eine Reuthaue, eine Art Hacke für die Feld- und Waldarbeit. Sogar jene dünne hervorstehende Schraube hat er nachgebaut, mit der der alte Gruber unfachmännisch das Eisenteil am Ende des Holzstiels befestigt und das ihm und seiner Familie die Schädel gespalten hat.

 

 

Als Müller, ein hagerer Mann, noch Tatortermittler bei der Ingolstädter Kripo war, hat ihn der Fall Hinterkaifeck dienstlich nie offiziell beschäftigt. Doch irgendwann wurde seine Leidenschaft geweckt. Es müsste das Geheimnis doch zu lösen sein, sagte er sich, heute, wo manchmal winzige Fasern oder DNA-Spuren ausreichen, einen Täter zu überführen. Wo Experten vom Insektenbefall einer Leiche und ihrem Verwesungsgrad auf die Todesumstände schließen können. Wo Kriminalisten mit dem Einsatz von allerlei High-Tech auch sehr lange zurückliegende und als unlösbar geltende Mordfälle aufklären. Warum also nicht auch jene düstere Geschichte von Brutalität, Hass, Blutschande und vielleicht auch Rache, die sich vor 80 Jahren auf einem Einödhof im nördlichen Oberbayern abgespielt hat? So stürzte sich Konrad Müller also in diesen Fall – und auch heute, nach sieben Jahren Ruhestand, kommt er davon nicht los.

 

 

Wie wäre es wohl gelaufen, wenn damals Konrad Müller die Ermittlungen geführt hätte und nicht Georg Reingruber? Der damalige Oberinspektor aus München war mit der Aufklärung politischer Fememorde in jenen unruhigen Zeiten zwischen den Kriegen mehr als genug beschäftigt, als zu allem Überfluss auch noch dieser sechsfache Mord passierte, irgendwo draußen in der Provinz bei Schrobenhausen. Reingruber fuhr hin, und wie er, die Amtsperson aus der Großstadt, da so im schwarzen Gehrock herumstolzierte, wirkte er allein schon äußerlich als Fremdkörper inmitten der einfach gekleideten Landbevölkerung. Nur ein paar Stunden blieb Oberinspektor Reingruber in Hinterkaifeck, dann hat er den Tatort nie mehr gesehen. Als er zurückfuhr, schien er sicher zu sein: Raubmord! Dabei fand man doch reichlich Geld und Wertgegenstände im Totenhaus. Und hätte ein Einbrecher, der auf Geld aus ist, tatsächlich so hasserfüllt zugeschlagen? Wäre er nicht mit der Beute abgehauen, anstatt zu bleiben und das Vieh zu versorgen?

 

 

Womöglich wäre Konrad Müller, der selbst auf einem Bauernhof groß geworden ist, tatsächlich besser in das ländliche Milieu eingedrungen, wo man das Böse bis heute lieber in der Fremde ansiedelt und wo sich hinter heilen Fassaden dörflichen Zusammenhalts Abgründe auftun. Die ganze katholische Gegend tuschelte seit Jahren vom inzestuösen Treiben der Außenseiter von Hinterkaifeck. Im Mai 1915 zum Beispiel hatte das Landgericht Neuburg den alten Gruber wegen Blutschande zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt und seine Tochter Viktoria zu einem Monat. Das sexuelle Verhältnis zum Vater hatte bestanden, seitdem sie 19 war. Die junge Frau ließ sich sogar vom Alten freiwillig in einen Schrank sperren, bis der schroffe und geizige Mann die jungen Freier vertrieben hatte, die um ihre Hand anhalten wollten.

 

Auch Ortssprecher Lorenz Schlittenbauer blitzte ab. Als Viktoria 1919 den kleinen Josef zur Welt brachte, gab er sich trotzdem als Vater aus; später widerrief er das. Da hatte der zuständige Waidhofener Pfarrer Michael Haas schon den Säugling unter Gruber, also unter dem Familiennamen des Großvaters, ins kirchliche Geburtsregister eingetragen. Daneben schrieb er das Wort „illegal“. Kriminaler Müller sagt: „Was in Hinterkaifeck passiert ist, war wie ein Gewitter, das langsam aufzieht und sich dann fürchterlich entlädt.“

 

 

Vielleicht ist es genau diese Mischung aus Blutschande und Blutbad, welche „die Menschen hier seit Generationen umtreibt“, wie Peter Leuschner beschreibt. Der Journalist, Jahrgang 1947, stammt aus der Gegend, er ist groß geworden mit den Schauergeschichten, die bis heute die Runde machen. Zum 75. Jahrestag der Morde von Hinterkaifeck hat Leuschner das bisher umfassendste und fundierteste Buch zum Thema geschrieben. Der spannende Schmöker basiert auf den amtlichen Ermittlungsunterlagen. Schon ein halbes Jahr nach dem Erscheinen waren 10000 Exemplare verkauft. Ausstellungen haben sich schon mit dem Fall befasst, ein Hörspiel und ein Bühnenstück wurden geschrieben und mehrere Filme gedreht.

 

 

Solange das Gute nicht gesiegt hat, bohrt auch nach mehr als 80 Jahren ein Stachel im Bewusstsein der Menschen dieses Landstrichs rings um Ingolstadt. Neulich erst hat wieder einmal allein Mundpropaganda den Saal eines Dorfwirtshauses gefüllt, in dem Kriminalkommissar Müller die Fakten von damals vortrug und hernach eine von ihm komponierte „Moritat“ über den sechsfachen Mord sang. „Hinterkaifeck ist längst ein Mythos geworden“, sagt Leuschner. Ganz so, wie andere große ungeklärte Kriminalfälle: König Ludwigs Ende im Starnberger See zum Beispiel oder der Mord am Findelkind Kaspar Hauser. Und wie unvermeidlich in solchen Fällen bilden sich Legenden.

 

 

Wie die vom bayerischen Russen. Als der Donau Kurier 1951 eine Serie über den Kriminalfall druckte, tauchte ein Mann in der Redaktion auf. Er erzählte von einem russischen Offizier, der ihn und andere deutsche Kriegsgefangene nach dem Zweiten Weltkrieg in schönstem Bayrisch angesprochen und einige der Soldaten sogar aus dem Straflager entlassen habe mit dem ausdrücklichen Hinweis: „I bin der Mörder von Hinterkaifeck.“ Bis heute nähren sich daraus wilde Spekulationen.

 

War Karl Gabriel, Viktorias Mann, gar nicht im Ersten Weltkrieg bei Verdun gefallen? Nahm der vielmehr eine falsche Identität an und kehrte Jahre später unbemerkt zurück auf den Einödhof? Sah er dort mit eigenen Augen, was seine Frau mit ihrem Vater trieb? Und rottete er sie deshalb alle aus, ehe er sich nach Russland absetzte?

 

Die Polizei war von Anfang an überfordert. Manche mögliche Zeugen wurden überhaupt nicht oder erst nach vielen Jahren vernommen. Nach der Tatwaffe wurde nicht energisch gesucht; das blutverkrustete Werkzeug tauchte erst ein Jahr später beim Abbruch des Einödhofs auf. Widersprüche in den Aussagen, die seltsamen Vorgänge vor und nach der Tat – sie wurden kaum oder gar nicht hinterfragt. Ganz zu schweigen von den „oft falschen oder ungenauen Namen, den unvollständigen Protokollen oder den fehlenden Orts- und Zeitangaben“, die Müller in den Ermittlungsunterlagen ausgemacht hat.

 

 

Der Profiler aus München

 

 

Heutzutage würde man in solch einem Fall Fingerabdrücke nehmen und vielleicht sogar Speichelproben. Man würde modernste Technik einsetzen, Fahndungscomputer anwerfen – und vermutlich würde man Klaus Wiest holen. Der Hauptkommissar der Abteilung für „Operative Fallanalyse für Tötungs- und Sexualdelikte“ am Münchner Polizeipräsidium ist das, was man nach dem Vorbild des amerikanischen FBI einen „Profiler“ nennt. Ausgehend von den Tatortspuren und allen verfügbaren Ermittlungsergebnissen versucht er, Persönlichkeitsprofile von Tätern zu erstellen. Vor zwei Jahren ist Klaus Wiest zu Konrad Müller gefahren und hat sich mit seinem Kollegen einen Nachmittag lang über Hinterkaifeck unterhalten. Miteinander haben sie Akten gewälzt, und Wiest hat daraus das bis dato letzte amtliche Papier verfasst. „Alles deutet auf persönliche Motive hin“, hat Wiest in dem Gutachten festgestellt. Es müsse „Spannungen im unmittelbaren sozialen Umfeld gegeben haben“, einen „emotionalen Konflikt zwischen Tätern und Opfern“.

 

Emotionen gibt es bis heute zuhauf. Manche Familien leiden noch immer unter den Verdächtigungen gegen ihre Ahnen. Einige drohen gar all denen mit Rechtsanwalt und Gericht, die einen Vorfahren beschuldigen. Wer in Gröbern Einheimische nach Hinterkaifeck fragt, erhält oft nur genervt-abweisende Ratschläge wie „Lasst doch endlich den alten Schmarrn ruhen“. Misstrauische Blicke verfolgen den, der sich die 500 Meter vom Dorf hinaus aufmacht. Wo einst das Blut floss, wird heute Rollrasen für Fußballstadien gezüchtet. Eine letzte stumme Zeugin ist jene Fichte, die damals schon hier gestanden haben muss. Nicht weit weg hat Konrad Müller eine Schautafel aufgestellt. In ein Luftbild hat er den Hof maßstabsgetreu eingezeichnet, und ein kurzer Text schildert, was einstmals hier geschah. Auch ein Marterl gibt es, das an die Hinterkaifecker erinnert, die in einem Massengrab auf dem Waidhofener Friedhof liegen: „Gottloser Mörderhand fielen zum Opfer...“

 

 

Die Aussage des Pfarrers

 

 

„Man hat damals versäumt, ins unmittelbaren Umfeld einzudringen und dort konsequent zu ermitteln“, sagt Profiler Wiest. Er ist überzeugt: Mit heutigen Methoden wäre der Mordfall Hinterkaifeck damals zu klären gewesen. Nach 80 Jahren aber helfe sogar modernste Kriminaltechnik nicht mehr. Asservaten mit etwaigen DNA-Spuren der Täter sind verbrannt oder längst verschwunden, genauso erging’s einem Großteil der Akten. Die übrig gebliebenen Unterlagen sind unvollständig. Warum fehlt in einem ansonsten lückenlosen Aktenband ausgerechnet das Blatt mit der Aussage des Pfarrers Haas, dem Viktoria eine Woche vor ihrem Tod im Beichtstuhl 700 Goldmark zugesteckt hat?

 

 

Konrad Müller sucht weiter Antworten auf solche Fragen. Er wird auch künftig den Hinterkaifeck-Hof in Öl und Aquarell malen, wie er das schon dutzendfach getan hat. Er lässt weiter einen Moskauer Freund in dortigen Archiven nach dem bayerischen Russen suchen. Das Verlangen nach Gerechtigkeit treibt ihn nicht. „Der Mörder“, sagt Müller, „ist zwangsläufig schon lange tot“.

 

Konrad Müller wird weiter ermitteln.

 

04.01.2003 Süddeutsche Zeitung

 

 



 

Ein niedergeschriebenes Interview, welches vom bayrischen Rundfunk am 10.11.2007 mit Konrad Müller geführt wurde:

 

BR1: Glauben Sie zu wissen, wer der Täter war?

 

 

KM: Ich würde zwar generell sagen Ja, aber trotzdem meine ich, dass es für eine Anklage, die Punkte, die ich bisher gesammelt habe, nicht ausreichen für einen Gerichtsprozeß , der ihn zum Täter verurteilt. Die Indizien würden, nach meiner Ansicht, nicht ausreichen, aber vom Gefühl her, meine ich zu wissen, wer’s war!

 

 

BR1: Sie dürfen es auch nicht sagen

 

 

KM: Nein, es wäre absolut unfair, aber nach meiner Ansicht ist er schon verstorben!

 

 

BR1: In den Akten ist der Fall, das hat mich so ein bisschen gewundert, als Raubmord geführt, aber nach der Todesnacht, Mordnacht besser gesagt , da hat man ja im Hof noch jede Menge Geld, Schmuck gefunden, auch Uhren, das waren ja richtige damals in den Zwanziger Jahren, richtige Wertgegenstände, das kann doch gar nicht Raubmord gewesen sein!

 

 

KM: Der Ansicht war ich ja immer, dass es sich nicht um einen Raubmord handeln kann. Es waren etwa noch 2228 Mark im Schrank verwahrt, also in einem der Tatortzimmer, und auf dem Bett lag also eine leere Brieftasche und ich mein‘, dass diese Spur fingiert war, das heißt bewusst gelegt, um einen Raubmord vorzutäuschen!

 

 

BR1: Was könnte denn das Motiv von dem Täter gewesen sein?

 

 

KM: Also die unmenschliche Art der Tatbegehung, sämtliche Bewohner auszulöschen, würde ich mal sagen, da0 es ein absoluter Racheakt war!

 

 

BR1: An diesen Falls sind jetzt sogar wieder, glaube ich, ganz aktuell Profiler rangegangen!

 

 

KM: Das haben wir also im Jahr 2000 schon einmal gemacht, eine operative Fallanalyse und die hat gewissermaßen als Gutachten ergeben, dass also zwischen Täter und Opfer eine starke emotionale Verbindung bestand! Das müsste keine Person aus dem äußeren Umfeld gewesen sein, sie müssen sich gut gekannt haben!

 

 

BR1: Mhm, Täter und Opfer müssen sich gut gekannt haben. Rache, denke ich mal, könnte da ein Motiv gewesen sein. Es stellt sich natürlich die Frage, Rache wofür? Herr Müller, eine superspannende Geschichte, darüber reden wir gleich weiter hier auf Bayern eins.

 

 

BR1: Ja ein ungeklärter Kriminalfall aus dem Jahr 1922 beschäftigt uns heute Vormittag. Warum haben die Bewohner von Hinterkaifeck damals auf so grausige Art sterben müssen? Konrad Müller bei mir. Er ist ehemaliger Kriminalbeamter, kennt den Fall so gut, wie kein Anderer.

 

Herr Müller, es gibt ja da verschiedene Theorien, wer oder was hinter diesem Mord gesteckt haben könnte. Eine lautet, das war ein politisch motivierter Fememord, wie es damals in den Zwanzigerjahren es doch einige gab, vielleicht, weil der abgelegene Hof als geheimes Waffenlager benutzt worden ist. Was sagen Sie denn zu dieser Theorie?

 

 

KM: Ja, diese Theorie ist mir bekannt, aber ich, von meiner Person her, schließe diese Möglichkeit aus! Die Kaifecker, die waren ja unbedingt so verschlossen, einer außenstehenden Person wurde nie der Zutritt ins Haus gewährt! Ich kann mir unmöglich vorstellen, dass sie sich so politisch engagiert haben, dass man zum Beispiel Waffen auf ihren Hof horten konnte oder die Erlaubnis dazu! Ein Fememord trifft für mich nicht zu!

 

 

BR1: Manche können sich ja vorstellen, dass es eine Eifersuchtstat gewesen ist, also zum Beispiel ein enttäuschter Liebhaber, der Tochter. Der Vater hatte ja mit der Tochter ein Inzestverhältnis und war dafür ja auch ein Jahr lang hinter Gittern gewandert nicht?

 

 

KM: Ja, die Tochter vier Wochen! Es ist nun so, dass ein Großteil , die sich mit Hinterkaifeck befassen oder befasst haben, der Meinung sind, dass es bei dem Täter sich um den Ehemann handelt, um den Karl Gabriel, der am 12.12.1914, in den ersten Kriegstagen, in Verdun bereits gefallen ist und diese Leute sind der Meinung, dass er also nicht gefallen ist! Er hätte die Identität mit einem anderen Kriegskameraden getauscht, wäre acht Jahr später also zurückgekehrt und hätte von dem Inzestverhältnis erfahren und hätte sich damit gerächt!

 

 

BR1: Ist er jetzt gefallen oder ist er nicht gefallen?

 

 

KM: Nach meiner Ansicht ist er gefallen! Es ist ja nun so, dass zwei Schulkameraden von ihm ihn am Schlachtfeld im Schützengraben identifiziert haben. Jetzt würde ich damit unterstellen, dass das richtig ist, was mehrere Personen damit ja bekundeten!

 

 

BR1: Hinterkaifeck ist ja ein richtiger Mythos! Habe ich ja vorhin schon gesagt! Immer wieder werden ja auch Bücher zu diesem Fall veröffentlicht. Derzeit steht auch ein Roman ganz ganz oben auf den Bestsellerlisten, in dem die Autorin genau diesen Stoff mehr oder minder verarbeitet hat. Was ist aber letztendlich mit den Leuten, die da in der unmittelbaren Umgebung von dem Tatort leben, also in Gröbern, wo die nächsten Nachbarn waren, in den umliegenden Ortschaften? Wird da noch über diesen Mord geredet oder ist es besser dieses Thema überhaupt nicht anzuschneiden?

 

 

KM: Der letzte Satz, den lass‘ ich absolut gelten! Ja, es ist bemerkenswert, dass also vorwiegend in Gröbern, das ist also der nächste Ort, 500 Meter entfernt von Kaifeck, dieses Hinterkaifeck-Thema eben nach wie vor ein sehr heißes Thema darstellt!

 

 

BR1: Warum ist das nach all den Jahren immer noch so ein wunder Punkt?

 

 

KM: Es ist ja so, dass immer noch Nachkommen vorhanden sind, die in verwandtschaftlicher Beziehung zu irgendeinem Tatverdächtigen stehen.

 

 

BR1: Also gibt es heute noch Verdächtigungen eventuell, oder gedachte Verdächtigungen, also die nicht ausgesprochen werden?

 

 

KM: Es gibt da gewisse Meinungen, die einfach einmal sagen, nach unserer Meinung wär’s der oder diese Person gewesen!

 

BR1: Aber so bleibt er ungeklärt und damit auch der spektakulärste ungeklärte Fall der da in Bayern passiert ist! Ich danke Ihnen recht herzlich, dass Sie zu uns gekommen sind und wünsche Ihnen jetzt ein schönes Wochenende!

 





Ein von Konrad Müller gemaltes Aquarell
(Quellenhinweis: 2007 © Bayerischer Rundfunk - Land und Leute, la Vita)



Konrad Müller ist nicht nur Exkommissar, sondern auch Künstler - er dichtet, malt, singt und spielt Gitarre. Sein Lied über Hinterkaifeck sollte daher hier nicht fehlen.

 

(Veröffentlicht in: Peter Leuschner, "Der Mordfall Hinterkaifeck", apus-Verlag, 1997/2007)

 

 

Ein Lied zu Hinterkaifeck

 

 

Ein Acker liegt am Waldesrand,

 

wo einstmals Hinterkaifeck stand.

 

Der Wind trägt das Geschrei der Armen,

 

erzählt vom schlimmsten Mord vor Jahren.

 

 

Es war im Jahre 22,

 

Blutschande lag am Einödhaus.

 

Als Ende März ein Schneesturm tobte,

 

da wurd´ ein Leichentuch daraus.

 

 

Ein loses Rind brüllt in der Nacht

 

und lockt die Opfer aus der Ruh´.

 

Sechs Menschen werden umgebracht,

 

der Tod schlägt unbarmherzig zu.

 

 

Die Schreckenstat bleibt ungesühnt.

 

Kein Stein vom Hof als Zeuge bleibt.

 

kein Mensch hat je solch Straf´ verdient,

 

der Wald steht schwarz und schweigt.

 

Text von Konrad Müller

Hier kann man das Lied anhören:


Video




 
Die Fahndungsplakate von 1922 
 
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